
Bild: Canva
Atelier
Wie entsteht eigentlich eine Geschichte? Im Atelier zeige ich dir, woran ich aktuell arbeite.
Hier nehmen die neuen Ideen für Seite 3 ihre Formen an. Viel Spaß beim Entdecken!
Textprojekt 2025 – Gertrude Stein:
Was ich an der amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein (1874 – 1946) bewundere, ist ihr genialer Eigensinn.
Sie verbrachte den Zweiten Weltkrieg im besetzten Frankreich, obwohl in der Schweiz ein sicheres Versteck auf sie wartete. Keiner der deutschen Soldaten ahnte, dass diese Frau eine jüdische Intellektuelle war, in deren Wohnung eine verbotene Picasso-Sammlung schlummerte und dass ihre Sekretärin Alice B. Toklas zugleich ihre Geliebte war.
Auch literarisch ließ sie sich nichts vorschreiben: Die experimentelle Autorin kam auf die Idee, den abstrakten Malstil ihres Freundes Picasso in ihr Schreiben zu integrieren.
Kann das funktionieren? Und wenn ja: Wie klingt ein solcher Text? – Mit diesen Fragen möchte ich mich näher beschäftigen.
Status:
Aktuell lese ich Gertrude Steins „Wars I have seen / Kriege die ich gesehen habe“ und parallel eine ältere Biographie, die ich in einem Antiquariat erstöbert habe.
Geplant ist ein Blog-Artikel, der Lust macht, so radikal zu schreiben wie Gertrude.
Arbeitstitel: „Schreibe einen Picasso!“
Rosen, Kriegstagebuch und Wortporträts
Neugierig geworden? Dann verschaffe dir vorab einen Eindruck von ihrem ungewöhnlichen Schreibstil: Hier kommen drei Textbeispiele, die einfach typisch für Gertrude sind!
Beispiel 1:
Weltbekannt ist Gertrude Stein für diesen spielerischen Satz:
„A Rose is a Rose is a Rose is a Rose“ (1)
Wenn du ihn schnell hintereinander sprichst, klingt es wie „Eros is Eros is Eros is Eros“. Übrigens: Nachdem sich Gertrude Stein und Ernest Hemingway verkracht hatten, schickte er ihr ein Buch mit der Widmung: „A bitch is a bitch is a bitch is a bitch“ (2) Ganz schön fies, oder?
Beispiel 2:
„Wir sind alle ein bißchen nervös in diesen Tagen ein bißchen entmutigt denn wird es jemals enden und ein bißchen glücklich denn die Nachrichten aus Italien sind sehr gut und ein bißchen beunruhigt denn unsere Freunde in Paris haben eine ganze Menge Schwierigkeiten am Leben zu bleiben, wir schicken ihnen von Zeit zu Zeit einen großen Käse aber es ist nur von Zeit zu Zeit und sie haben kein Gas und keine Elektrizität und kein Holz und keine Kohle.“ (3)
Na, fehlt dir hier etwas? Genau, mit Satzzeichen ging Gertrude Stein mehr als sparsam um. Auf diese Weise verlieren Sätze ihre Konturen, ihre Tiefen und werden zu einer einfachen, flachen Form. Du bildest den Rhythmus und die Betonungen auf deine eigene Art. Diese Freiheit erlaubt dir mehr Interpretationen als je zuvor.
Beispiel 3:
Aber vor allem hartnäckige, absolut ermüdende Wiederholungen sind ihr Markenzeichen.
Diese Technik setzt sie beispielsweise in ihren Wortporträts ein – für dieses „saß“ der Maler Picasso Modell:
„Einer dem einige fraglos folgten war einer der vollkommen faszinierend war. Einer dem einige fraglos folgten war einer der faszinierend war. Einer dem einige folgten war einer der vollkommen faszinierend war. Einer dem einige folgten war einer der fraglos vollkommen faszinierend war.
Einige folgten fraglos und wussten ohne Frage dass der eine dem sie nun folgten einer war der rang und nun einer war der etwas hervorbrachte. (…)
Aus diesem einen brach immerzu etwas hervor. Dieser eine rang. Dieser eine hatte immer gerungen. Aus diesem einen brach immerzu etwas hervor aus diesem einen etwas was schlüssig war, was faszinierend war, was schön war, was rätselhaft war, was verstörend war, was einfach war, was klar war, was kompliziert war, was interessant war, was beunruhigend war, was abstoßend war, was sehr hübsch war. Dieser eine war einer der fraglos einer war aus dem etwas hervorbrach. Dieser eine war einer dem einige folgten. Dieser eine war einer der rang.“ (4)
(Aktualisiert: April 2025)
Quellenangaben:
(1) Gertrude Stein. Das große Lesebuch. Hg: Uda Strätling. Frankfurt am Main, 2017.
(2) Vgl. Wikipedia „Gertrude Stein“.
(3) Stein, Gertrude: „Kriege die ich gesehen habe“ Frankfurt am Main, 1984.
(4) Gertrude Stein. Das große Lesebuch. Hg: Uda Strätling. Frankfurt am Main, 2017.